Wir bringen unsere Jahre zu wie ein Geschwätz

Natürlich steht das bei Wiechert, wo sonst. Ein Psalm. Der Mann trotzt der Bibel so manche Anständigkeit ab, die wohl versehentlich dort hineingeraten ist. Nach der Lektüre von Douglas Reeds Streit um Zion läßt sich das sogenannte Wort Gottes immerhin lesen, ohne sich ständig zu fragen, warum dieser Gott so neidisch und blutdürstig ist. Eine jüdische Chimäre sei das Ganze, sagt der eine, die einzige Wahrheit, der andere. Eine unlösbare Aufgabe für Kretins, sage ich. Kretins lassen lieber ihre Kinder in den ersten zwei Jahren dreißigmal spritzen, als anfangen, nachzudenken.

Daß wir die Jahre zubringen wie ein Geschwätz, ist leider eine Binse, die zu spät kommt. Wie so vieles, aber es muß keinem leid tun. Was mir leid tut, sind verlorene Jahre. Gar nicht einmal so wenige.

Als zweitausendundacht das erste Buch Michael Winterhoffs erschien, war mir augenblicklich klar, daß es keine bloße Geschäftsidee infolge einer deutlichen Marklücke gewesen war, sondern eine Handreichung für die Kindererziehung hätte sein können, ja sein müssen, wenn die Eltern nicht schon damals so entsetzlich beschränkt gewesen wären. 2008.

Die bis dahin statistisch ganz ordentlich aufbereiteten Ergebnisse der Kindervorsorgeuntersuchungen erschienen dann ab 2011 auch nicht mehr. Es war wohl zu offensichtlich geworden, daß sich die Kinder alles andere als gesund entwickeln. Aufmerksamkeit, Wahrnehmung, Motorik. Sprache. Mit anderen Worten, viele von ihnen waren  regelrecht behindert und kein Land in Sicht. Und es betraf in meinem Einzugsgebiet deutsche Kinder. Ich als kleiner Kinderarzt mit ein bissel Psychosomatik war plötzlich als erster Filter für behinderte Kinder verantwortlich. Bis 2015 waren in der Folge zumindest die zwei sozialpädiatrischen Zentren, mit denen ich zusammenarbeitete, heillos überfordert. Und zwar komplett in Hinblick auf korrekte Diagnosen und die daraus abgeleiteten Behandlungen durch Psychologen, Ergotherapeuten und Sprachlehrer. Das Chaos läßt sich gar nicht angemesen beschreiben, es kamen nämlich Deckelungen und staatlicherseits verordnete Obergrenzen für Behandlungen hinzu. Mir schien, Deutschland sei in dieser Hinsicht zu einem Dritte-Welt-Land geworden. In der Praxis sah es so aus, daß die meisten Kinder mit Hilfskräften und notdürfig geschulten Leuten konfrontiert wurden. Ich bezweifle, daß sich in der Russenzone bis heute daran etwas geändert hat. Wie es im Westen ist, weiß ich nicht, aber das kann sich jeder selber denken, der weiß, wieviele Migranten heute in einer Region wohnen.

Wir bringen unsere Jahre zu wie ein Geschwätz, das ist Legion mittlerweile. Und das nichts Besseres nachfolgt, auch. Dazu habe ich schon einmal 2021 etwas geschrieben, in diesem Sinne, hier und jetzt wird es mit kleinen Änderungen wiederholt.

Es kommt nichts Besseres nach

Warum das so ist, will ich gar nicht genau wissen, aber meine Tage beginnen häufig mit einem starken Kaffee und einem leicht getrübten Blick in den sogenannten Nachrichtenleser am Rechner. Meist wirkt das Gemisch genauso schnell wie die Meeresbrise und ich bin dann tatsächlich richtig wach, hellwach. Daß ich heute so verkappt schwülstig beginne, liegt wahrscheinlich daran, daß mir gleich nach der ersten Nachricht eine ganze Menge grotesker Gedanken durch den Kopf ging, und ich nun sehen muß, wie ich sie ordnen kann. Im Text aus der Preußischen Allgemeinen Zeitung war nämlich anläßlich des Besatzungswechsels auf der ISS die Rede von bemannter Raumfahrt und so kamen mir der Van-Allen-Gürtel und der Mondlandungsschwindel in den Sinn. Damit bin ich also schon schon beim Denken, von dem ich inzwischen annehme, daß es für die meisten Zeitgenossen nur ein Luxusproblem der Anderen, ihnen Unbekannter, darstellt, mit dem sie selbst bestenfalls am Rande zu tun haben. Als ich gerade so richtig volljährig wurde, stellte ich fest, daß nichts Besseres nachkommt, in diesem Falle, daß der Chefarzt, ein alter Universitätsprofessor, in den Ruhestand ging. Diese Feststellung geschah für mich mit einer Eindrücklichkeit, die mich schon damals überraschte, hatte ich doch lediglich einen einzigen Fall zur Hand, von dem ich das sofort haarscharf ableitete. Darauf geachtet habe ich danach eigentlich nie wieder, aber heute kann ich zusammenfassen, daß meine frühe und einzelne Erkenntnis eine so traurige wie absolute Gültigkeit besitzt. Es kommt nichts Besseres nach. Das ist so eine unverrückbare Tatsache, daß es sogar spannend ist, sie mit sich selber zu testen. Wenn es also wirklich einen Vergleich nach ganz verschiedenen Kriterien zwischen mir und meinem Vater gegeben hätte, dann bin ich nicht besser gewesen. Ohne wenn und aber. Das kann meinetwegen durchaus evidenzbasiert geschehen, mir war es in jedem Falle eine Ehre, auch wenn wir beide uns wohl nie bewußt gemessen haben. In der morgendlichen zweiten Nachricht war dann im Kurzporträt über eine interessante neurechte Zeitschrift sehr angenehm etwas zu lesen von unangenehm überheblich, und das hat mich auch überrascht, weil ich mir bislang keine erheblichen Gedanken über Arroganz gemacht habe, weder über meine noch über die anderer, aber ich verstehe, was gemeint ist. Wenn nun aber zufällig von bemannter Raumfahrt und Arroganz die Rede ist, macht es mir Freude, weiterzuspinnen, denn es sieht ja ganz so aus, als hörte die allgemeine, offizielle Spinnerei neben dem Lügengeplänkel im Koronazirkus einfach nie auf. Die PAZ las ich früher ganz gern, das Ostpreußenblatt und den satirischen Wochenrückblick von Heinz Heckel. Er ist nicht wesentlich angepaßter als ich es in meiner eigenen Praxis war, nur deutlich älter. Uns einte Naivität. Heute also ein Hoch auf den deutschen Teilnehmer der internationalen Raumstation und die Erwähnung von Elon Musk als einen eitlen Milliardär mit fragwürdigen, kostspieligen Ambitionen. Na ja, da bekomme ich Appetit auf einen zweiten Kaffee, leises Geklimper von Glenn Gould und einen kurzen Text. Nix Besseres kommt nach, das betrifft auch das Ministerium für Staatssicherheit. Nicht nur, daß es aus dem kollektiven Gedächtnis gelöscht wurde, es kommt nichts Besseres nach. Der modernen Technik fehlt die arrogante Lust, das Vergnügen an der Pein des Gegenübers. Der Bundesrepublik vorzuwerfen, der Opfer der Stasi nicht zu gedenken, ist übrigens peinlich, wenn das die Opfer nicht einmal selbst angemessen fertigbringen, vielleicht weil ihnen ihre eigene Arroganz im Wege steht. Oder weil es mit dem Denken hapert. Die Leute zerreißen sich das Maul über die Absichten der irgendwie Herrschenden wie Genozid und andere Ungeheuerlichkeiten, aber bekommen es nicht auf die Reihe, ihren eigenen Alltag selbstkritisch zu betrachten, vielleicht weil sie nichts zu verbergen haben, was sich lohnte, verborgen zu werden. Weil ihnen die Phantasie fehlt, wie eins ins andere greift, und daß es eigentlich keine Sprünge in der Geschichte gibt. Oder sie träumen von Erlösung. Leute wie Musk, gebildet und pfiffig, sind wie die ungebildete, abgerichtete, verkommene Journaille neben der emotionalen Steuerung unter anderem auch zur Unterhaltung der Massen da. Wie es mit der Entwicklung autonomer Autos oder der Weltraumtechnik weitergeht, wissen allein die Architekten über den Schöpfern der KI – was vermutlich Kretinintelligenz bedeutet – die das Gedenken an die Stasi gleich mit gekidnappt haben. Das funktioniert mit professioneller Aufarbeitung und mit Hilfe laienhafter, aber subtil gefertigter Filme wie zum Beispiel Das Leben der Anderen, Der Turm und Nikolaikirche. Alles ganz einfach. Oder mit in Listen lancierter Literatur, in der das Kommende beschrieben ist. Das alles ist gleichsam die neue Stasi, nicht unbedingt menschlicher, aber moderner. Technische Kontrolle über Synapsen, wenn vorhanden. Bald vollständige Kontrolle. Emotional und abstrakt bis in die kleine Zehe, die letzte Haarspitze. Abseits von altem Recht und vertrauter Ordnung. Datensätze statt Aktenstapel. Ob es sich Kommunismus nennt oder Kokolores. Es kommt nichts Besseres nach.